Computerspiele im Zwielicht

Zu den Verflechtungen von Industrie, Politik und Wissenschaft in der Gewaltdebatte

von Jochen Krautz (Kunst + Unterricht 331/332, 2009, S. 92-93 )

Die immer wieder aufbrandende Diskussion um die Wirkung gewalthaltiger Computerspiele wird meist geführt, ohne deren politischen und ökonomischen Hintergründe einzubeziehen. Fragt man hier nach dem „cui bono“, stellt sich manche öffentliche Diskussion anders dar.

Es gehört zu den Binsenweisheiten der Kommunikationswissenschaft, dass Bilder auf Wirkung angelegt sind: „Bilder sind schnelle Schüsse ins Gehirn“. In Sekunden werden „eine Vielzahl von sachlichen und emotionalen Eindrücken in das Gehirn transportiert.“ (Kroeber-Riel 1993, S. 53) Und sie sind oft unbewusst verhaltenswirksam: „Bilder werden in erheblichem und praktisch relevanten Ausmaß ohne Bewusstsein (unterschwellig) aufgenommen, verarbeitet, gespeichert und verhaltenswirksam.“ (Ebd., S. 95) Sonst wäre auch nicht erklärbar, warum Milliarden in visuelle Werbung investiert werden. Gerade hierauf machte ja einst die „Visuelle Kommunikation“ aufmerksam.

Nun wird die öffentliche Diskussion oft darauf zugespitzt, ob sich direkte Korrelationen zwischen gewalthaltigen Computerspielen und realer Gewalttätigkeit nachweisen lassen. Dies blendet jedoch erstens die genante Tatsache aus, dass Bilder immer eine Wirkung haben. Zweitens stellt sich gerade im pädagogischen Kontext, in dem Ziele wie Friedfertigkeit und Achtung der Menschenwürde an oberster Stelle stehen, die grundlegende Frage, welchen menschlichen Sinn es macht, auch nur eine Minute mit dem Töten von Menschen am Bildschirm zu verbringen – selbst wenn dies keinerlei „Wirkung“ hätte. Drittens dienen virtuelle Tötungssimulatoren tatsächlich gerade dazu, Soldaten zu desensibilisieren und für das Töten zu konditionieren (Grossman/DeGaetano 2003).

Bei der Entwicklung solcher Simulatoren arbeiten Universitäten, Militär und Games-Industrie seit langem eng zusammen. Heute lässt „das Militär viele ihrer Schlüsseltechnologien für Simulationen und Trainingszwecke […] hauptsächlich im Bereich der Unterhaltungsindustrie“ entwickeln (Lenoir/Lowood 2003, S. 433). So entwickelt z.B. das „Institut for Creative Technologies“ der University of Southern California Computer-Spiele, mit denen das „Lernen revolutioniert“ werden soll, da man nicht mehr von ihnen lassen könne. Diese seien für das militärische Training ebenso wie für Bildung einsetzbar und sollten „leadership skills“ bei Schülern und Soldaten ausbilden (vgl. http://ict.usc.edu).

Dass in Computerspielen gelernt und eben auch Töten gelernt wird, ist also explizites Ziel ihrer Entwicklung und ihres Einsatzes im Militär. Warum sollten bei Kindern und Jugendliche diese Wirkungen nicht eintreten? Viele Ergebnisse der Medienwirkungsforschung zeigen diese Folgen deutlich (vgl. zusammenfassend Spitzer 2006). Relativierungen dieser Wirkungen betreffen meist die Frage der Kausalität, ob sich also aus einem einzelnen Moment wie dem gewalttätigen Computerspiel kausal reale Gewalttätigkeit ableiten ließe. Der kausale Zusammenhang ist zum einen in neuen Langzeitstudien inzwischen belegt: „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen: Je häufiger Kinder Horror- und Gewaltfilme in ihrer Kindheit konsumieren und je mehr Gewaltspiele zu Beginn des Jugendalters gespielt werden, desto größer ist die Schülergewalt und Delinquenz mit 14 Jahren.“ (Hopf/Huber/Weiß 2008, S. 79). Zum anderen leugnen auch Skeptiker mögliche Wirkungen nicht, werten sie nur anders. Damit ist es im pädagogischen Bereich jedoch keine Frage von Empirie, sondern von Verantwortung, ob man Kinder und Jugendliche einer möglichen Gefährdung ihrer geistigen und seelischen Gesundheit aussetzt: In jedem anderen Bereich – vom Rauchen bis zum Speckstein-Einsatz im Kunstunterricht – ist bei geringsten Verdachtsmomenten das Wohl der Jugend unbedingter Maßstab. Warum also nicht bei der Frage von gewalthaltigen Computerspielen? Warum sollte man ein Spiel wie „Grand Auto Theft IV“ im Kunstunterricht behandeln trotz offensichtlicher Gewaltverherrlichung?

Medienpädagogik ist als Disziplin in weiten Teilen ein Kind des Medienoptimismus’ der 1970er Jahre: Im Anschluss an Brecht und Enzensberger hofften viele Pädagogen auf die emanzipatorischen Qualitäten von Medien verschiedenster Art. Gerade die heutige interaktive Medienwelt scheint viele der Hoffnungen zu erfüllen, die damals noch Utopie waren. Eine daraus erwachsende „akzeptanzorientierte“ Medienpädagogik, die sich gegen eine vermeintliche „Bewahrpädagogik“ abgrenzen möchte, übersieht jedoch die Veränderungen in der Qualität der Wirkungen in der revolutionierten Medienlandschaft: Der von den Herstellern selbst konzipierte Suchtcharakter der Simulationen lässt „Emanzipation“ von diesen kaum mehr zu.

Insofern kommt es zu merkwürdigen Allianzen zwischen den Umsatzinteressen der Games-Industrie und verschiedenen Medienpädagogen. Deutlich wird dies am Institut „Spielraum“ der Fachhochschule Köln: Bekannt ist, dass „Electronic Arts“, einer der weltweit größten Entwickler und Vertreiber von Computerspielen, dieses Institut „zur Förderung von Medienkompetenz“ mit 250.000 Euro im Jahr fördert. Eine solche Kooperation von Forschern mit der Industrie, deren Produkte sie beforscht, verletzt das wissenschaftliche Ethos, denn die Gefahr der Abhängigkeit von den Interessen der Geldgeber ist offensichtlich. Hierzu passend vertreten der Direktor dieses Instituts, Prof. Winfried Kaminski, sowie sein Kollege Prof. Jürgen Fritz seit Jahren eine akzeptanzorientierte Medienpädagogik, die die Frage der Wirkung von Gewalt in Computerspielen umgeht, indem konstruktivistische Theoreme bemüht und positive Lerneffekte betont werden. So bewirbt Jürgen Fritz ein Spiel, das Krieg um Rohstoffe als Mittel der Politik inszeniert, als „Impuls für die politische Bildung“ (Fritz 2008). Medienkompetent müssten vor allem die Eltern sein, die lernen sollten, ihre „Vorurteile und Unsicherheiten“ gegenüber ihren Kindern abzubauen, die doch „Computer- und Videospiele oft ohne Vorbehalte“ nutzen (http://cms-dev.fh-koeln.de/imperia/md/content/www_spielraum/spielraum/downloads/spielraum-leporello.pdf).
Unlängst wurde zudem in einer von Fritz für die Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben Publikation der Beitrag des Kölner Institutdirektors Kaminski als ein schlichtes Plagiat enttarnt: Kaminski hat den größten Teil seines vermeintlich wissenschaftlichen Beitrags schlicht aus Presseartikeln im Internet zusammenkopiert (genauer Textvergleich unter www.kfn.de/home/Computerspieler_verstehen.htm). Für solche Copy-Paste-Plagiate droht heute jedem Studenten die Exmatrikulation. Immerhin sah sich die Bundeszentrale nach einer Intervention des Innenministeriums gezwungen, das Buch vom Markt zu nehmen.

Die Kölner FH hat hierauf bis heute nicht reagiert. Vielmehr wurde die einzige Mitarbeiterin, die die Finanzierung durch „Electronic Arts“ öffentlich kritisierte, von der Fakultätsleitung mit Unterlassungsverfügungen bedacht. Der Rektor drohte in einem Rundschreiben an alle Mitglieder der FH unverhohlen, man habe an Mitarbeitern des „konkurrenzfähigen Gemeinschaftsunternehmens“ Fachhochschule, die sich nicht „auch in den Köpfen“ der „Corporate Identity“ fügten, kein Interesse mehr.

Hier wird offensichtlich, wie zunehmend entstaatlichte Hochschulen unter dem Druck von externen Interessen die Freiheit von Forschung und Lehrer aufheben. Und diese Interessen sind gerade im milliardeschweren Bereich der Computerspiele enorm: Die Games-Industrie wird von Politikern geradezu hofiert (Schiffer 2009), man wirbt um Ansieldung von Herstellern und richtet Game-Design Studiengänge ein. Das Bundeswirtschaftsministerium wehrt Kritik an Computerspielen mit Verweis auf „das hohe wirtschaftliche und innovative Potential dieses jungen Wirtschaftszweiges“ (Brief vom 6.3.09) ab. In diesem Geschäft kommen ethische Fragen offensichtlich zu kurz: Kann man die eng mit Gewalt, Militär und Krieg verbundenen Produkte dieser Industrie zum „Kulturgut“ erklären, wie unlängst durch den Bundestag geschehen?

Die oft als wachende Instanz angeführte, von den Game-Herstellern selbst betriebene freiwillige „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ (USK) erweist sich dabei als stumpfes Schwert. Ein offensichtlich menschenverachtendes Spiel wie „Der Pate“, in dessen Lösungsbuch der Hersteller „Electronic Arts“ anleitet, die Opfer möglichst lange zu quälen („Töte ihn nicht gleich, sondern lass ihn langsam ausbluten. Wie ein Schwein…“), wurde zwar für Jugendliche unter 18 Jahren nicht freigegeben, damit aber vor dem Verbot, durch die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ geschützt. Als Beirat der USK erscheint ausgerechnet jener Jürgen Fritz, der für das Bundesministerium für Familie und Jugend (BMFSFJ) ein Gutachten über den Jugendmedienschutz vorlegte, in dem er zu dem Schluss kommt, dass keine weitere Verschärfung von Alterskennzeichnungen oder gar Verbote notwendig seien. Die USK funktioniere tadellos. Fritz’ Gutachten, das als neuester Stand der wissenschaftlichen Forschung gelten will, enthält dabei aber Textbausteine, die wortwörtlich aus 15 Jahre alten Publikationen übernommen wurden. Und absurderweise begründet der Autor die Ablehnung von Verboten gerade mit dem gewaltverherrlichenden Charakter der Spiele: „Wie ausführlich dargelegt wurde, gehört es zum Wesen der Computer- und Videospiele gegen einen ‚Widerstand’ die Spielziele durchzusetzen. Das Erreichen des Spielziels ist bei den allermeisten Spielen untrennbar mit den verschiedenen Formen der Gewaltanwendung verbunden (…). Ein Abgabeverbot würde die meisten Computer- und Videospiele betreffen, auch diejenigen, die mit USK 12 gekennzeichnet sind.“ (Fritz 2007, S. 54)

Diese hier nur anzureißenden Zusammenhänge machen deutlich, dass es in der Debatte um Computerspiel um mehr geht, als „Wirkungsforschung“ und „Bewahrpädagogen“ versus „Medienkompetenz“ und „Medienpädagogik“: Es geht um mächtige finanzielle Interessen an einem Produkt, das offensichtlich Suchtcharakter besitzt und seine Effizienz als Tötungstraining bei Soldaten bewiesen hat. Es geht um mediale Vorherrschaft in der öffentlichen Diskussion, die mit allen Mitteln der PR erstritten wird. Und es zeigen sich wechselseitige Abhängigkeiten von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, bei denen es um alles, aber nicht primär um das Wohl der Jugend geht. Um welchen Sumpf es sich dabei handelt, mag man am Beispiel erahnen: Der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss war Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für die Bereich Bildung und Medien. Als solcher setzte er sich offensiv gegen ein Verbot sogenannter „Killerspiele“ ein. Auf der Homepage der „Bundeszentrale für politische Bildung“ ist er sich beispielsweise in einem „Chat““ mit dem PR-Chef von „Electronic Arts Deutschland“, Martin Lorber, ganz einig, dass solche Verbote gar nichts nützen würden (http://www.bpb.de/themen/PCGNUI,0,0,Transkript:_Welche_Rolle_spielt_die_Wirtschaft). Anfang März 2009 wurde bei Jörg Tauss nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe strafrechtlich relevantes kinderpornografisches Material gefunden. Noch im November 2008 hatte Tauss sich gegen ein schärferes Vorgehen gegen kinderpornografische Inhalten im Internet ausgesprochen: Man dürfe sich nicht auf wirkungslose symbolpolitische Forderungen beschränken… (http://www.focus.de/politik/deutschland/fall-tauss-ermittler-nehmen-kinderporno-bilder-mit_aid_377576.html)

Literatur:

Fritz, Jürgen: Zur Kennzeichnung von Video- und Computerspielen. Expertise im Auftrag des Hans-Bredow-Instituts, April 2007, http://www.hans-bredow-institut.de/webfm_send/106
Fritz, Jürgen: „Civilization IV“ – ein Impuls für die politische Bildung? In: ders. (hrsg.): Computerspiele(r) verstehen. Zugänge zu virtuellen Spielwelten für Eltern und Pädagogen. Bonn 2008, S. 289-305
Grossman, Dave/ DeGaetano, Gloria: Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht? Ein Aufruf gegen Gewalt in Fernsehen, Film und Computerspielen. Stuttgart 20032
Hopf, Werner H./Huber, Günter L./ Weiß, Rudolf H.: Media Violence and Youth Violence. A 2-Year Longitudinal Study. In: Journal of Media Psychology Vol. 20, 3/2008, S. 79–96
Kroeber-Riel, Werner: Bildkommunikation. Imagerystrategien für die Werbung. München 1993
Lenoir, Timothy/Lowood, Henry: Kriegstheater: Der Militär-Unterhaltungs-Komplex. In: Schramm, Helmar/ Schwarte, Ludger/ Ladzardzig, Jan (Hrsg.): Kunstkammer – Laboratorium – Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert. Berlin, New York 2003, S. 432-464
Ostbomk-Fischer, Elke: Menschenbild und Medienbildung. Killerspiele im Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxis,
Pfeiffer, Christian: Ein schlechtes Buch und ein massiver Plagiatsvorwurf,
Schiffer, Sabine: Kindheitskiller auf dem Gabentisch. Industrie, Politik, Medien und FH Köln im Taumel der Kriegsspiele. NRhZ-online 15.03.2009, )
Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft. München 2006

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