No-Spy-Abkommen der USA – mit sich selbst?

Unter der Überschrift „USA wollen sich vor NSA-Spionage schützen“ berichtete die Süddeutsche am 15. Mai 2015 über eine grundlegende Geheimdienstreform, die das massenhafte Sammeln von Kommunikations- und Bewegungsdaten von Bürgern der USA in den USA verhindern soll. Gesammelt werden diese Daten von der National Security Agency, einem der über 36 (oder mehr?) amerikanischen Geheimdienste. Republikaner und Demokraten stimmten im Repräsentantenhaus  ausnahmsweise gemeinsam für den sogenannten USA Freedom Act.

Demokraten wie Republikaner wendeten sich mit diesem Beschluss gegen das systematische, anlasslose, dafür vollständige Ausspähen von US-Bürgern in den Staaten selbst. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren den Geheimdiensten mit dem Patriot Act weitgehende Befugnisse eingeräumt worden. Als nur vorübergehender Akt der Re-Aktion auf die Anschläge gedacht, wurde das Gesetz, das elemenatere Grundrechte von Amerikanern außer Kraft setzt, von George W. Bush und Barack Obama immer wieder verlängert. Jetzt etablierte sich Widerstand. Die Zustimmung für den USA Freedom Act lag im Repräsentantenhaus bei über 80% und man war guter Dinge. Doch das Gesetz musste noch durch den Senat. Dort wurde das Gesetz am 22. Mai gestoppt. Konservative Senatoren um den republikanischen Mehrheitsführer McConnell hatten sich (aus wahltaktischen Gründen) gegen das Gesetz gestellt. Die massive Ausspähung von Amerikanern durch eigene  Geheimdienste ging vorerst uneingeschränkt weiter, bis das Gesetz Anfang Juni dann doch den Senat passierte (und ein an sich aussichtsloser Kandidat der Republikaner landesweit Aufmerksamkeit eingeheimst hatte).

Für US-Bürger außerhalb der Vereinigten Staaten ändert sich ohnehin ebenso wenig wie für Bürger anderer Staaten in Südamerika, Asien, Europa und Russland. Hier werden weiterhin alle nur verfügbaren Daten systematisch gesammelt, zwischen den „Five Eyes“ (USA, Groß-Britannien, Kanada, Australien und Neuseeland) ausgetauscht und ausgewertet. Auf deutscher Seite beteiligt sich u.a. der Bundesnachrichtendienst (BND), der für amerikanische Dienste Daten nach deren Vorgaben sammelt und weitergibt. (Ob der BND deutsche Unternehmen im Auftrag der US-Dienste ausspioniert hat und unter dem Vorwand der Terrorabwehr auch Wirtschaftsspionage betrieben wurde, wird aktuell und wohl noch eine Weile kontrovers diskuiert. Die Selektorenliste jedenfalls, die über die Spionageziele Auskunft geben könnte, wird aufrund eines Abkommens mit den USA immer noch unter Verschluss gehalten, gegen alle deutschen und europäischen parlamentarischen Regeln.)

Zwei Fragen stellen sich:

  • Gelingt es den Vereinigten Staaten das Primat des Rechts auch nur in ihrem eigenen Land, aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses im Repräsentatenhaus und gegen konservative Senatoren durchzusetzen (ja, wenn auch nicht von Dauer), gegen die (berufsbedingte) Paranoia der Geheimdienste, die nicht nur alle anderen, sondern (konsequent zu Ende gedacht) auch sich selbst und nicht zuletzt den US-Präsidenten überwachen müssen und sich letztlich an kein geltendes Recht gebunden fühlen, weil dadurch ja womöglich notwendige Geheimdienstaktionen behindert würdent? (Auf Dauer: Nein. Über die Notwendigkeit entscheiden sie sinnigerweise selbst.) Der Geheimdienstwahn geht vorerst weiter.
  • Wann realisiert die Bundesregierung, dass es alleine aufgrund der Aufgabenbeschreibung der US-Geheimdienste und gemeinsamer Nachkriegs-Veträge kein No-Spy-Abkommen der Bundesregierung oder der Europäischen Union mit der US-Regierung geben wird? Warum wird das nicht offen gegenüber den Wählerinnen und Wählern kommuniziert?

Zur Zeit lässt sich durch veröffentlichte eMails zudem eher vermuten, dass die angebliche „No-Spy“-Regelung von amerikanischer Seite nie formuliert und auf deutscher Seite eher dem Wahlkampf 2013 geschuldet war als tatsächlichen Absprachen. Aber auch rechtlich fehlt die Basis. Die Badische Zeitung hat ein Interview mit dem Freiburger Historiker Josef Foschepoth über die juristischen Grundlagen der US-Spitzeleien in Deutschland publiziert, das deutlich macht, dass alle Beteiligten bei den Diensten korrekt ihre Arbeit machen, nach den Nachkriegsgesetzen. Die Koalition müsse erst Mut und Rückgrat aufbringen und diese alten Kooperationsvereinbarungen zu hinterfragen, um die Zusammenarbeit mit den USA auf eine andere gesetzliche Basis zu stellen. Nur Mut! möchte man rufen, denn das ist so zwingend wie dringend.

Ein Akt der Unterwerfung

BZ-Interview mit Josef Foschepoth zur Debatte um US-Spitzeleien(20.5.2015)

BZ: Unterliegen die US-Geheimdienste in Deutschland überhaupt irgendwelchen Beschränkungen?
Foschepoth: Faktisch nein. Mal ist es Nato-Recht, mal das seit der Besatzungszeit geltende Aufenthalts- und Truppenstationierungsrecht, mit dem die Amerikaner ihre Operationen in Deutschland begründen. (…)

BZ: Könnte die Bundesregierung die Zusammenarbeit beenden?
Foschepoth: Rechtlich gäbe es die Möglichkeit, den einen oder anderen Vertrag, etwa den Zusatzvertrag zum Nato-Truppenstatut, oder einzelne Artikel daraus zu kündigen oder neu zu verhandeln. Doch so viel politisches Rückgrat ist angesichts der Staatsräson der Bundesrepublik zumindest derzeit noch nicht erkennbar. Vielleicht sollte die dritte Große Koalition erst einmal mit einer Grundgesetzänderung beginnen und den Ausschluss des Rechtsweges bei nachrichtendienstlicher Überwachung, den die erste Große Koalition 1968 in Artikel 10 des Grundgesetzes hineingeschrieben hat, herausnehmen. Alles Weitere wird sich daraus ergeben, auch für die Kontrolle der amerikanischen Geheimdienste in unserm Land.

Ein Akt der Unterwerfung, Badische Zeitung vom 20.5.2015, S. 5