Der Kaiser ist ja nackt (Teil I)

Landtag Düsseldorf. 94. Sitzung am 4. Mai 2016 (E 16/1636).
Anhörung der Sachverständigen zum Antrag der Fraktion der FDPDigitale Bildung und Medienkompetenz in den Schulen stärken – durch bundesweite Bildungsstandards, ein Bund-Länder-Sofortprogramm zur Ausstattung der Schulen und eine Qualifizierungsoffensive der Lehrerschaft“ (Drs. 16/10796). Das Sitzungsprotokoll liegt vor.  (Auszug aus dem Protokoll; Statement Lankau, S. 10-11)


Vorsitzender Wolfgang Große Brömer:

(…) Herr Professor  Lankau  von  der  Fakultät  Medien  und  Informationswesen  der  Hochschule  Offenburg.

Dr.  Ralf  Lankau  (Fakultät  Medien  und  Informationswesen,  Hochschule  Offenburg):

Vielen Dank. Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als jemand, der 1966 eingeschult worden ist und seit 1985 selbst unterrichtet, habe ich dieses dreiminütige Statement unter den Titel „Der Kaiser ist ja nackt“ gestellt. Mir stellt sich die Frage: Was ist das Ziel der Digitalisierung? Als Grafiker zeichne ich nun etwas schwarz weiß: Ist das Ziel die Zurichtung von Menschen an Displays, wie es der Kollege Breithaupt in der „Zeit“ postuliert hat? Oder geht es um die individuelle Entwicklung und Reifung der Persönlichkeit im Dialog mit anderen?

Die  erste  Frage,  die  ich  stelle,  ist  die  Frage  nach  dem  Nutzen  und  dem  sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Das Medienspektrum für den Unterricht reicht von analogen bis zu digitalen Medien. Rafael Reis, Präsident des MIT, gibt einen Hinweis, was man mit digitalen Medien machen kann. Er definiert drei Formen von Lernen: Die erste ist das Lernen von Bestandswissen, Repetitionswissen, was wir uns vorher über Bücher oder Scripte zugeführt haben. Das kann man sehr wohl allein lernen. Die zweite ist der Dialog und der Diskurs in der Lerngruppe, mit anderen. Das geht nicht allein und nicht über Skype oder andere Programme; wir brauchen den direkten Dialog. Die dritte Form ist die Entwicklung von etwas Neuem. Laut Reif, der sehr wohl für digitale Medien in der Lehre plädiert, ist entscheidend, dass nur im ersten Schritt – für das Repetitionswissen – digitale Medien eingesetzt werden können.

Der zweite Punkt, über den wir reden  müssen, ist die  Behauptung, dass der digital divide durch digitale Medien aufgehoben werden könne. Das ist eine Farce; ich formuliere das hier sehr drastisch. Mit digitalen Medien können diejenigen gut arbeiten, die auch mit analogen Medien gut arbeiten können. Diejenigen, die aus einem bildungsaffinen Elternhaus kommen, können das; diejenigen mit einem sozialschwachen Hintergrund können das nicht. Die sozialschwächeren Schüler und auch Studenten brauchen sehr viel mehr Betreuung und Begleitung. Hier würden wir mit der Forcierung der digitalen Geräte die digitale Spaltung vertiefen.

Der dritte Punkt ist bereits angesprochen worden, die Datensicherheit. Es ist unglaublich,  dass  die  Bundesrepublik  keine  Vorgaben  und  rechtlichen  Regelungen  erlässt, was  mit  unseren  Daten  passiert.  Sie  kennen  möglicherweise  den Children’s  Online Privacy Protection Act der USA: Daten der Schülerdürfen demnach in den Schulen und zwischen Schulen nicht getrackt, nicht aufgezeichnet, nicht ausgewertet werden. Diese Grundlagen brauchen wir noch. Hier besteht ein großes Defizit. Hier können die IT-Anbieter gern einsteigen und Konzepte auf ein Intranet, für Verschlüsselungen in die Schulen transferieren.

Mein letzter Punkt ist eine Grundsatzfrage: Worum geht es? Geht es um digitale Medien im Unterricht? Lehrende setzen immer Medien ein, von der Sprache über Grafiken bis hin zu Bildern – das, was zur Verfügung steht. Oder geht es um die Digitalisierung von Unterricht, das heißt, dass die Kinder und Jugendlichen an den Maschinen lernen? Geht es um den Sozialverbund, um die Schule als sozialer Ort? Oder geht es darum, dass Menschen möglichst früh über Sprachsysteme und Systeme aus der Cloud gesteuert und manipuliert werden?

Das gesamte Sitzungsprotokoll als PDF