Digitalisierung als De-Humanisierung von Schule und Unterricht – und Alternativen

Wer sich mit dem Thema „Digitalisierung und Schule“ befasst, stellt fest, dass die Tragweite der intendierten Transformation von Bildungseinrichtungen zu möglichst automatisierten Lernfabriken durch Digitaltechnik nur von Wenigen realisiert wird. Selbst Begriffe wie „Lernen 4.0“ oder „Schule 4.0“ führen nicht dazu, die zugrunde liegenden Theorien und Automatisierungstechniken der „Industrie 4.0“-Projekte zu hinterfragen. Dann wäre sofort klar, dass diese an Technik-Geschichte und Software-Updates erinnernde Zählweise für Bildungseinrichtungen ebenso abwegig ist wie die Fiktion der Wissensproduktion. Weder sind „vollautomatisierte Lernfabriken“ realistisch, bei denen Bildungscontroller an ihren Kontrollmonitoren im Rechenzentrum über die „selbstgesteuerte“ Produktion von Humankapital mit validierten Kompetenzen der selbstorganisierten Lerner (SoL) an den Lernstationen wachen. Noch sind diese „Schule-ohne-Lehrer“-Szenarien eine relevante Metapher für Schule und Unterricht und sind in der Praxis gescheitert. Lernen kann man nicht automatisieren und maschinell abbilden.

Wer das Buch „The Human Use of Human Beings“ von Norbert Wiener von 1950 liest, ist weniger erstaunt über die analytische Präzision der Prognosen, die bei einem Mathematiker wie Wiener erwartet werden darf als über die Weitsicht im Hinblick auf die Folgen der Automatisierung für die menschliche Arbeit und soziale Strukturen – und die Blindheit heutiger Bildungspolitiker/innen und Kultusminister/innen.

„Wir müssen aufhören, die Peitsche zu küssen, die auf uns einschlägt.“ (Norbert Wiener, 1950, S. 198)

 


Kritische Psychotherapie. Hogrefe

R. Lankau (2021) Digitalisierung als De-Humanisierung von Schule und Unterricht – und Alternativen

in: Kritische Psychotherapie. Interdisziplinäre Analysen einer leidenden Gesellschaft
hrsg. v. Martin Wendisch, Hogrefe, Schweiz, ISBN: 9783456859897, S. 325-338

Link zum Hogrefe -Verlag: Kritische Psychotherapie / ISBN: 9783456859897 / 2021, 496 Seiten