Kreativität – gegen den Strich gebürstet

Kreativität ist einer dieser viel und gern benutzten, positiv besetzten Begriffe. Kreativ sind (wahlweise) Ideen oder Personen, Lösungen, Anwendungen oder Verhaltensweisen. Man kann (umgangsprachlich) fast alle Tätigkeiten mit dem Begriff des „kreativen Tuns“ adeln. Ursprünglich den Künsten und der Wissenschaft zugeordnet, wird der Begriff mittlerweile für jede Form von Tätigkeit und Aufgabenstellung beansprucht. „Kreativität“ ist quasi ein Selbstwert wie Innovation, Nachhaltigkeit oder Effizienz. Gemeinsam ist diesen Begriffen sowohl die positive Besetzung wie die  Inhaltsleere. Die eigentliche Tätigkeit, der Prozess und das Ziel sind nachgeordnet, weil austauschbar.

Machen Sie die Probe aufs Exempel, bevor Sie weiter lesen: Was fällt Ihnen zu den Begriffen „kreativ“ und „Kreativität ein? Legen Sie diesen Text für eine viertel, halbe Stunde beiseite und machen Sie ein sogenanntes „brain storming“ (Gehirnsturm oder Gedankengewitter; auf deutsch: eine Ideensammlung). Schreiben Sie Ihre Gedanken, Stichworte und Assoziationen auf, als Stichwortliste oder „mind map“ (Geistkarte, auf deutsch: Skizze), auf der Sie Ihre Gedanken „clustern“ (auf deutsch: ordnen, gliedern, strukturieren). Sollte Ihnen nichts einfallen vor dem weißen Blatt, brauchen Sie wahrscheinlich ein Kreativitätstraining und sollten unbedingt Kreativitätstechniken lernen. Kreativitätstechniken werden in Workshops vermittelt und in Ratgebern publiziert. Methoden und Techniken kann man schließlich lehren und lernen. Kreativität auch?

Mit der Ausweitung des Kreativitätsbegriffs in den 60ern – an die Stelle des schöpferischen Potenzials des Menschen traten Problemlösungsstrategien – etablierte sich ein Dienstleistungsmarkt für Berater(innen) und Kreativitäts­trainer(innen). Das etwas seltsame „wording“ dieser englischen Begriffe und deren Endung auf „-ing“ ist zum einen der englischen Sprache geschuldet, zum anderen dem Marketing – und der gewünschten Expansion des Marktes. Neben dem „brain storming“ gibt es heuer das „brain writing“, neuerdings das „brain walking“. Es spricht aber nichts dagegen, daraus auch ein „brain swimming“ oder ein „brain food cuttíng“ oder „brain flower watering“ zu machen. Das Prinzip einer Methode sind Beschreibbarkeit und Reproduzierbarkeit, nicht ein validiertes Ergebnis. Die Kosten für diese Kurse wiederum hängen von den Adressaten ab: Wer Führungskräfte „coacht“, kann ein paar Tausend Euro ansetzen, wer das Gleiche an der Volkshochschule unterrichtet, muss sich finanziell bescheiden. Aber das sind die Spielregeln des Marktes: Nicht das Produkt oder die Dienstleistung bestimmen den Preis, sondern der Personenkreis, dem man es zu einen bestimmten Preis offeriert. Was wir aus der Konsumgüter- und Lebensmittelindustrie kennen – der Verkaufspreis eines  Produktes bemisst sich nicht am Produkt selbst, sondern an der Zielgruppe, der Verpackung und dem Verkaufsort – gilt gleichermaßen für Dienstleistungen.

Ineffizienz als Methode: Brain Storming

Dabei gibt es ein paar kleinere Probleme. Die so genannten Kreativitätstechniken wie exemplarisch das „brain storming in Gruppen sind nicht sonderlich effektiv ….

Der ganze Beitrag als PDF: Kreativitaet: Gegen den Strich gebuerstet_(2015)

in: Hans Ulrich Werner; Ralf Lankau (Hrsg.): Medien. Kreativität. Interdisziplinarität, Siegen 2009, MuK 176/177, S. 13-26