Vortrag in der dbb Akademie, Berlin, Dezember 2015
Alle Versuche der Technisierung des Lernens sind gescheitert. Wer sich mit der Geschichte der Unterrichtsmaschinen beschäftigt, mit „Lerngutprogrammierung, Lehrstoffdarbietungsgeräten und Robbimaten“, wie Medienwissenschaftler Claus Pias diese Apparate nennt (FAZ vom 10.12.2013), wird bei Kybernetik und Behaviorismus inhaltliche Parallelen in den wiederkehrenden Forderungen beim Einsatz von Medientechnik im Unterricht feststellen:
- Unterricht habe abprüfbare Ziele; Lehre könne (!) und müsse daher automatisiert und inhaltlich normiert werden, um kostensparsam, effektiv und kontrollierbar zu sein;
- Lehrende sollten mit Hilfe von Technik und Apparaten sachgemäßer und vor allem überprüfbar unterrichten;
- bei vorgegebenem Medieneinsatz werde der Lehrer/die Lehrerin zum Hilfslehrer (so schon Comenius) oder zum/zur Lernbegleiter/in;
- (digitale) Technik ermögliche es, individualisiert – d.h. dem jeweiligen (Schüler-)Subjekt und dem jeweiligen Wissensstand gemäß – Texte und Aufgaben am Bildschirm bereitzustellen.
Psychologen nennen das adaptive Lernumgebungen. In der Diskussion um digitale Lehrmedien heißt das dann „personalisiertes Lernen“, was insofern korrekt ist, da jede Person am Bildschirm als erstes eindeutig identifiziert und alle Handlungen personenscharf aufgezeichnet werden. Software erstellt den Lehrplan, Software stellt die Videos und Übungen zum Lernen zusammen, Software lobt und tadelt, Software nimmt die Prüfungen ab und bestimmt, was jemand studieren darf. Das mag technisch funktionieren. Das ist aber keine Schule, sondern ein dystopischen Lernkontrollszenarien, das an Laborratte und Drill denken nicht an Schule.
Eine These zu Beginn
Bei der Frage, ob Digitalisierung im Bildungssystem sinnvoll ist, geht es nicht um die technische Codierung von Lehrmedien (dann wären digitale Medien nur eine zeitgemäße Ergänzung), sondern um eine Grundsatzfrage: Wir müssen uns entscheiden, ob wir technologische Strukturen etablieren (wollen), bei denen jeder Einzelne in der Schule, Hochschule oder Weiterbildung algorithmisch berechnete Aufgaben am Touchscreen abarbeitet und von Software determinierte Inhalte lernt oder ob wir uns auf die demokratischen, humanen, diskursiven und sozialen Aspekte und Dimensionen des Lehrens/Lernens besinnen.
Im Kern ist es die Entscheidung zwischen Präsenzlehre im Klassen- bzw. Sozialverband auf der einen versus Vereinzelung und Zurichtung am Rechner auf der anderen Seite – mit allen Folgen für Gemeinschaft und Gesellschaft. Am Beispiel Lehren und Lernen zeigen sich exemplarisch gegensätzlichen Modelle: Stärkung der Individuen und der Solidarität untereinander durch das Lernen in einer Gemeinschaft oder Steuerung und Vereinzelung des Individuums durch Algorithmen und Avatare, Smartphone und Apps
Der ganze Beitag (21 S.) als PDF: Vortrag Lankau dbb Akademie 2015