Die Verdinglichung des Menschen [02]
Digitaltechniken dringen in alle Lebensbereiche vor. Nach Arbeitswelt, Kommunikation und Konsum stehen jetzt Bildungs- und Gesundheitssysteme auf der Agenda der Digitalisten. Bildung ist Voraussetzung zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben; medizinische Versorgung benötigt jeder Mensch früher oder später. Niemand kann (und sollte) sich diesen beiden Systemen auf Dauer entziehen, da sie das Rückgrat sozialer und solidarischer Gemeinschaften sind. Es sind allerdings sensible Systeme, die auf Vertrauen und gegenseitiger Respekt basieren. Es sind zugleich Zukunftsmärkte, in denen durch eine alternde Gesellschaft, medizinische Fortschritte und Aspekte wie lebenslanges Lernen enorme Potentiale stecken. Das macht Bildungs- wie Gesundheitsdienste (bzw. die Aspekte ihrer Digitalisierung, also Datenerhebung und -auswertung) für Digitalanbieter attraktiv, auch wenn sowohl Lehrende wie Lernende, Ärzte wie Patienten in digitalen Systemen letztlich auf Datensätze reduziert werden. Denn Digitalisierung humaner Systeme bedeutet: Das Individuum wird quantifiziert und statistisch klassifiziert.
Die gemeinsame Klammer bilden immer mehr Daten, die von und über jeden Einzelnen gesammelt, zusammengetragen und mit Hilfe von Big Data Mining (statistische Methoden der Mustererkennung in beliebig großen Datenbeständen) ausgewertet werden. Wie in anderen Bereichen der Digitalisierung sind der vermeintliche Nutzen (die unisono beschworenen „Chancen der Digitalisierung“) und Missbrauch (die i.d.R. nur formal erwähnten Risiken) zwei Seiten der gleichen Medaille. Aus einem Instrument der Informationsverarbeitung und Arbeitsorganisation wird in Verbindung mit Netzwerkdiensten und mobilen Endgeräten ein allgegenwärtiger Kontroll- und Steuerungsmechanismus aller Bürger. Nicht selten führen Gruppen- oder Sozialzwang (oder wie in den USA Forderungen potentieller Arbeitgeber) zur erzwungener Datenprostitution und in Folge zu einer immer stärkeren Reglementierung der Verhaltenssteuerung von Individuen bis in den Privatbereich. Dabei sind eHealth, Gesundheitskarte und Selftracking nur Bausteine eines expandierenden Systems. Implantierbare Chips gehören ebenso dazu wie schluckbare Sensoren, die durch Magen und Darm wandern und Daten senden oder die permanente Selbstvermessung durch Selftracking (Quantified Self). Ergänzt werden Bewegungsprofile per GPS und Daten der Kundenkarten (Vitality Card, Generali), mit der Einkäufe protokolliert werden. Alle Kommunikationsakte (besonders Social Media Dienste) und das Konsumverhalten im Web kommen dazu. Das gemeinsame Ziel aller Anstrengungen: der transparente, via Statistik und Kennzahlen, Algorithmen und Sprachsoftware steuerbare „homo digitalis“.
Der ganze Beitrag als PDF: Lankau: Die Verdinglichung des Menschen 02 (17 Seiten, gekürzt erschienen in : umwelt-medizin-gesellschaft, Ausgabe 3/16)