Homo Digitalis vs. Humanitas

Ein Virus reicht und wir sitzen am Bildschirm – im Homeoffice oder zum Fernunterricht. Digitalisten jubeln. Heimarbeit macht teure Büros überflüssig, der New Yorker Bürgermeister schwärmt, nach der Pandemie blieben die Schulen geschlossen, um Geld zu sparen. Es gäbe doch die Schul-Cloud.

Kinderärzte und Gerontologen, Pädagogen wie Psychologen warnen eindringlich, dass durch Kontaktverbote und Lockdown die Schwächsten der Gesellschaft – Kinder, behinderte und alte Menschen – am stärksten leiden. Das Soziale und Zwischenmenschliche lässt sich nicht digitalisieren. In Schulen etwa hat Covid-19 schon jetzt gezeigt: Für erfolgreichen Fernunterricht brauchen wir mehr qualifizierte Lehrkräfte plus Mentoren und Tutoren. Lernen basiert auf Beziehung und Vertrauen, nicht Technik. Gleiches gilt für die Pflege.

Dazu kommt: Die digitale Transformation der Gesellschaft mit dem Ziel der digitalen Organisation von Gesellschaft basiert auf personalisierten Daten. Wir Nutzer sind permanente Datenspender für Personal Analytics (Office) oder Learning Analytics (Schulen). Zum Überwachungskapitalismus gesellt sich die Überwachungspädagogik. Wer daher Digitalkompetenz fördern will, muss die Struktur und Logik der Datenökonomie aufzeigen und Alternativen zur Plattformökonomie entwickeln. „IT neu denken“ heißt die Aufgabe, um Digitaltechnik und Netzwerke vom Fetisch wieder zum Werkzeug zu machen.

in: +3 Was ist Ihre Meinung (SZ), Wie stärkt man digitale Kompetenzen? (28. August 2020, S. 25)