Wer sich für das „Internet der Dinge“ mit seinen Millionen von Geräten begeistert, die allesamt Daten ins Netz senden und via Web gesteuert werden können, sollte auch die andere Seite der Medaille nennen. Für die Digitalisten aus dem Silicon Valley – und für Versicherungen, Internet-Dienstleister, eShop-Betreiber oder z.B. eLearning-Anbieter – sind auch Menschen nur Datenobjekte im Netz, die via Smartphone, Web und App kontrolliert und gesteuert werden können. (Aus: Lankau: Dot.Com-Phantasien vs. Pädagogik; erscheint 2017)
Zitate
Wir leben im digitalen Mittelalter
Dieter Nuhr über den digitalen Shitstorm (FAZ vom 17.7.2015)
Die Primitivität und Aggressivität, mit der Andersmeinende im Internet verfolgt werden, scheint mir denselben psychologischen Mechanismen zu folgen, die früher zu Lynchjustiz und Pogromen führten. Der Andersmeinende wird zunächst als wahlweise „dumm“ oder „böse“ dargestellt. (…) Der Delinquent wird zur digitalen Vernichtung freigegeben. Der Shitstorm ist die Hexenverbrennung des 21.Jahrhunderts, Gott sei Dank bei angenehmen Temperaturen, „nur“ sozial, nicht physisch vernichtend. (…)
Die Anonymität des Internets bedeutet insofern einen zivilisatorischen Rückschritt in Richtung Faschismus und Mittelalter, Pogrom und Hexenverbrennung. Es ist die Aufgabe der kommenden Jahrzehnte, unter den Akteuren im Internet eine Kultur der Aufklärung zu schaffen, um die digitale Welt in ein bürgerliches Zeitalter zu überführen.
Der Beitrag in der FAZ: Bericht aus dem Shitstorm
Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace
Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht mehr.
Wir besitzen keine gewählte Regierung, und wir werden wohl auch nie eine bekommen – und so wende ich mich mit keiner größeren Autorität an Euch als der, mit der die Freiheit selber spricht. Ich erkläre den globalen sozialen Raum, den wir errichten, als gänzlich unabhängig von der Tyrannei, die Ihr über uns auszuüben anstrebt. Ihr habt hier kein moralisches Recht zu regieren noch besitzt Ihr Methoden, es zu erzwingen, die wir zu befürchten hätten.
John Perry Barlow // Aus dem Manifest vom 29.02.1996
Diese Erklärung von John Perry Barlow ist symptomatisch für sowohl die Euphorie der Anfangszeit des Web wie auch der Technikgläubigkeit. Es ist unterkomplexes, dualistsiches Denken in Schwarz-Weiß-Schemata (ihr, die Bösen und wir, die Guten), was in keiner Diskussion hilfreich ist. Barlow ist übrigens der erste, der von „digital natives“ und „digital immigrants spricht und die Angst der Eltern vor ihren Kindern behauptet, die sie nicht mehr verstünden.
Ihr erschreckt Euch vor Euren eigenen Kindern, weil sie Eingeborene einer Welt sind, in der Ihr stets Einwanderer bleiben werdet. Weil Ihr sie fürchtet, übertragt Ihr auf Eure Bürokratien die elterliche Verantwortung, die Ihr zu feige seid, selber auszüben. In unserer Welt sind alle Gefühle und Ausdrucksformen der Humanität Teile einer umfassenden und weltumspannenden Konversation der Bits. Wir können die Luft, die uns erstickt, von der nicht trennen, die unsere Flügel emporhebt.
Dass Kinder neue Technologien mit ihrer Unbedarftheit und Neugier leichter adaptieren korreliert in der Regel mit dem Unvermögen, über Folgen und Reichweite der Techniken zu reflektieren. Ein Smartphone oder Tablet bedienen zu können, sagt exakt nichts darüber aus, was mit den Geräten gemacht wird, welche (Meta-)Daten generiert werden und wer darauf Zugriff hat. Cöoud Computing, Big Data und Data Minuíng sind nur einige Stichworte. Dass der Geist des Cyberspace eine Zivilisation des Geistes erschaffe, die humaner und gerechter sei als „die Welt, die Eure Regierungen bislang errichteten“ wird angesichts von Snowdens Enthüllungen, sich verselbständigender Geheimdienste und den Geschäftsmodellen der „Silocon Valley Men“ niemand behaupten.
Quellen
„A Declaration of the Independence of Cyberspace“, (Fri, 9 Feb 1996); dt. Übersetzung bei telepolis, Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace (29.2.1996)