„Zweifel an digitalen Heilsbringern“ lautet der Titel eines Beitrags in den VDI-Nachrichten vom 5. Februar 2016 zur Learntec und der angestrebten Digitalisierung von Schulen und Unterrichts. Neben den Branchenvertretern der Digitalwirtschaft mit ihrer berufsbedingten Verengung des Blicks auf Digitaltechnik – in der digitalen Welt sei kein Platz mehr für Latein, stattdessen sollten Englisch und Programmiersprache unterrichtet werden, wird der Bitkom-Vizepräsident Ulrich Dietz zitiert – kamen in diesem Beitrag erfreulicherweise Kritiker zu Wort, die vor dem unreflektiertem Medieneinsatz in Schule und Unterricht warnen und hier zitiert werden. „Statt Technisierung und Ökonomisierung sei eine Rückbesinnung auf den Dialog von Lehrenden und Lernenden gefragt“ so der Autor Wolfgang Schmitz in den VDI-Nachrichten. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Josef Kraus fordert z.B. das Üben elementarer Kulturtechniken vor dem Programmieren:
„Bevor wir schier euphorisch darüber diskutieren, ob es Tablets und Programmierunterricht schon in den Grundschulen braucht, sollten wir sicherstellen, dass wir allen Schülern die Freude am Lesen und an den komplexen Sprach- und Erzählungsnetzwerken, die wir Bücher nennen, vermitteln.“ Die Lehrer seien schlichtweg überfordert, wenn sie allein über die Gefahren von Datenmissbrauch, Verschuldung und Cyber-Mobbing aufklären sollten. Kraus: „Dazu brauchen die Schulen die Unterstützung durch Profis, auch zum Zwecke der Elternbildung.“
Obwohl Ralf Lankau als Professor für Mediengestaltung an der Hochschule Offenburg selbst mit modernsten Medien arbeitet, sind für ihn PC und Handy keine Bildungs-Heilsbringer. Alle wissenschaftlich relevanten Studien hätten gezeigt, dass ihr Einsatz nicht zu besserem Unterricht oder besseren Schülerleistungen führe. Lankaus Antworten auf den „Wahn der Digitalisierung“: Schulen vom Netz – bis die Rechtsgrundlage für den Datenschutz minderjähriger Schüler sichergestellt ist; generell keine digitalen Medien in der Grundschule und in höheren Klassen nur als Hilfsmittel und nur, wenn sie pädagogisch notwendig sind. Vom Einsatz digitaler Techniken in Schulen, so Lankau, profitierten ausschließlich die Hard- und Software-Anbieter. „Statt Ökonomisierung und Digitalisierung brauchen wir eine Humanisierung und Re-Individualisierung humanistischer Tradition. Nicht Technik und Kontrolle führen zu Wissen und Können, sondern der Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden.“
Die Digitalisierung der Grundschulen lehnt auch Peter Hensinger von der Umwelt- und Verbraucherorganisation „diagnose:funk“ rigoros ab: „Kinder brauchen eine Verwurzelung in der Realität, bevor sie der Virtualität digitaler Medien ausgesetzt werden.“ Außerdem führe die Vernetzung zu „überwachten und Google-manipulierten Schülern“.
Das werden BitKom-Vorstände und Vertreter der IT-Wirtschaft anders (oder z.B. in Google-manipulierten Schülern gar kein Problem) sehen, aber wer Schule nicht unter der Prämisse der Ökonomiserung sieht, um dort Technik und Geräte zu verkaufen und Menschen auf Web-Dienste, Display und Touchscreen zu konditionieren, wer stattdessen jungen Menschen einen möglichst guten, selbstbestimmten Start in ihr Leben ermöglichen möchte, weiß, dass nicht Technik, sondern Lehrerinnen und Lehrer nötig sind für das Lehren und Erziehen. Unterricht ist Dialog und Beziehungsarbeit, nicht Steuerung per Algorithmus, auch wenn IT-Unternehmen dann aus dem Unterrichten in Schulen und Hochschulen keine Geschäftsmodelle machen und nicht schon Schülerdaten in der Big-Data-Cloud vermarkten können.
Das aber dürfte für Eltern wie Pädagogen zu verkraften sein.