„Digitale Bildung und Medienkompetenz in den Schulen stärken – durch bundesweite Bildungsstandards, ein Bund-Länder-Sonderprogramm zur Ausstattung der Schulen und eine Qualifizierungsoffensive der Lehrerschaft“ (Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 16/10796)
Vorbemerkung
Diese Stellungnahme zum Antrag zur Stärkung von „digitaler Bildung“ und Medienkompetenz basiert auf einer langjährigen Berufspraxis des Autors mit zwei sich ergänzenden Schwerpunkten. Als Pädagoge unterrichtet er seit 1985 Mediengestaltung mit analogen und digitalen Techniken, seit 2002 als Professor für Digitaldesign an der Hochschule Offenburg. Als Grafiker produziert er seit 1988 digital (DTP und Print, seit 1995 Webdesign). Dadurch verbinden sich die durchgängige Lehrtätigkeit mit der intensiven Arbeit mit Computern, Software und Netzwerken.
Die Ausgangslage
Das Vordringen der Digitaltechniken in nahezu alle Lebensbereiche ist nicht zu übersehen. Personal Computer (PC) und Tablets, Smartphones und Social Media sowie der jederzeit und überall mögliche Netzzugang durch mobile Geräte und Funknetze (WLAN) bestimmen zunehmend das persönliche wie das gesellschaftliche Leben. Da bleibt es nicht aus, dass sich auch Bildungseinrichtungen mit der Frage beschäftigen (müssen), ob und ggf. wann und wie aktuelle Techniken und Medien im Kontext Schule und Unterricht thematisiert und/oder selbst eingesetzt werden sollen.
Dabei sind, historisch betrachtet und regelmäßig wiederkehrend, zwei gegensätzliche Interessen und Positionen zu beobachten: Medien- und Technikanbieter postulieren für jede neue Technik deren Modernität und ihre vermeintliche Relevanz für den Unterricht. Vom Bilderbuch (Comenius) bis zum PC-Poolraum reicht das Spektrum. Es werden ebenso regelmäßig eine höhere Lernmotivation und bessere Lernleistungen behauptet. Auch bessere Kontrollierbarkeit des Unterrichts und die Degradierung des Lehrers zum Hilfslehrer findet sich bereits bei Comenius.
Auf der anderen Seite stehen Pädagoginnen und Pädagogen, die aufgrund ihrer Ausbildung und Berufserfahrung eher skeptisch auf technische Neuerungen und Moden reagieren. Der Medienwissenschaftler Claus Pias benennt diese Apparate und Unterrichtsmaschinen mit Begriffen wie „Lerngutprogrammierung, Lehrstoffdarbietungsgeräten und Robbimaten“ und zeichnet deren regelmäßiges Scheitern im Unterricht nach. Medien und Medientechnik sind schließlich nicht entscheidend für gelingenden Unterricht. In dieser Tradition steht die Diskussion um IT und Webdienste in Schulen. Neu ist daran der ständige Rückkana, der Datentransfer über und das Speichern der Daten im Web, weswegen alle Fragen des Datenschutzes. zu bedenken sind.
Fehlende Sprachlogik
Auffällig ist die Ungenauigkeit im Sprachgebrauch, die sich im Antrag widerspiegelt. Gesprochen wird bereits im Titel von „digitaler Bildung“ in Verbindung mit (auf Digitalmedien verkürzte) Medienkompetenz. Das Problem: Es gibt keine digitale Bildung. Bildung ist immer und notwendig an Personen und an ein lebendiges Bewusstsein gebunden. Bildung ist zwingend Eigenschaft einer Person, kein technisches Speicherformat und nicht medialisierbar. Es gibt auch keinen „digitalen Unterricht“, weil das Unterrichten ebenfalls notwendig an Personen (Lehrende und Lernende) gebunden ist. Und: Kein Mensch lernt digital. Lernen ist ein individueller und sozialer Prozess, der sich nicht technisieren, nicht digitalisieren lässt (außer man vertritt ein rein mechanistisches Verständnis von Körper und Intellekt, was vielfach widerlegt ist).
Bezeichnend der Satz: „Digitale Bildung und Erziehung in der Schule muss auf die Schulung des Urteilsvermögens für ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben mit digitalen Medien ausgerichtet sein“, was die Frage aufwirft: Wieso? Streicht man „digital“ und „digitalen Medien“, wird es eine relevante Aussage: „Bildung und Erziehung in der Schule muss auf die Schulung des Urteilsvermögens für ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben (auch mit Medien) ausgerichtet sein.“
Was es gibt, sind digitale Medien, die – wie analoge Medien auch – nach pädagogischen und didaktischen Prämissen im Unterricht eingesetzt werden können. Dabei ist die technische Codierung von Medien für den Unterricht nachgeordnet. Die Hattie-Studie belegt (als Meta-Studie auf Basis von mehreren Tausend Einzelstudien), dass Digitaltechnik im Unterricht zwar nicht schadet, aber auch nicht nutzt. Entscheidend sei, welche Art von Unterricht der Lehrer/die Lehrerin mache, wie strukturiert der Unterricht sei, wie qualifiziert die Rückmeldung seien u.a. Die Qualität des Unterrichts, heißt das wenig überraschend, ist nicht vom Medieneinsatz abhängig, sondern von der Lehrpersönlichkeit, vom Fachwissen und dem Vermittlungsvermögen der Lehrenden. Das ist Konsens, selbst bei Befürwortern von Digitaltechnik im Unterricht. Der Leiter der Telekom-Studie „Schule digital. Der Länderindikator 2015“ , Wilfried Bos (Institut für Schulentwicklung IFS, TU Dortmund) weist auf den fehlenden Nutzennachweis von Digitaltechnik für bessere Unterrichtsergebnisse hin:
„Die Sonderauswertung hat auch gezeigt, dass Staaten, die in den letzten Jahren verstärkt in die Ausstattung der Schulen investiert haben, in den vergangenen zehn Jahren keine nennenswerten Verbesserungen der Schülerleistungen in den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik oder Naturwissenschaften erzielen konnten. Die verstärkte Nutzung digitaler Medien führt offensichtlich nicht per se zu besseren Schülerleistungen. Vielmehr kommt es auf die Lehrperson an.“ (S. 8)
Die laut Bos folgende Konsequenz aus diesem Befund dürfte eher dem Auftraggeber der Studie (ein Anbieter technischer Infrastruktur und digitaler Dienstleistungen) denn pädagogischer Notwendigkeit geschuldet sein. Wenn Bos formuliert:„ Ihr [der Lehrperson] muss es gelingen, digitale Medien sinnvoll in den Unterricht zu integrieren.“ ist die notwendige Gegenfrage: „Warum muss es gelingen, Medientechnik – reduziert übrigens auf digitale Medien – in den Unterricht zu integrieren?“ Sind Digital- und Medientechnik immer Unterrichtsgegenstand oder Selbstzweck?
Die gesamte Stellungnahme (13 Seiten) mit Quellen: Lankau: Anhörung 10796
Das Material
Übersicht über eingegangene Stellungnahmen
Ausschussprotokoll (27.6.2016)