BZ-Interview mit Medienprofessor Ralf Lankau, Mitinitiator einer Petition für bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen, in: Badische Zeitung, 25. Januar 2021
Link zur BZ: https://www.badische-zeitung.de/digitales-lernen-hat-viele-nachteile
Der Offenburger Medienprofessor Ralf Lankau ist Mitinitiator der „Petition für bildschirmfreie Kindergärten und Grundschulen“, die in den vergangenen beiden Jahren von knapp 96000 Unterstützern aus ganz Europa unterzeichnet wurde, wie das „Bündnis für humane Bildung“ am Mittwoch vermeldete. Schlechtes Timing für eine Grundsatzdiskussion, könnte man meinen, in Zeiten, in denen ohne digitale Unterstützung gar kein Unterricht stattfinden würde. BZ-Mitarbeiterin Juliana Eiland-Jung fragte nach.
BZ: Wie kam es dazu, dass Sie überhaupt eine Petition gestartet haben?
Ralf Lankau: Anlass waren der Digitalpakt Schule und der von der EU-Kommission verabschiedete Aktionsplan für digitale Bildung 2021-27. Beides sind Eingriffe in die Methodenfreiheit der Lehrkräfte. Es wird nicht nur gefordert, dass sie den Einsatz digitaler Medien im Unterricht beherrschen, was in Ordnung ist, sondern auch einsetzen müssen. Da wird es Zwang.
BZ: Was haben Sie denn dagegen, wenn Schulkinder mit Tablets Übungen machen?
Lankau: In Kindergarten und Grundschule ist die Lernmotivation der Kinder geprägt vom gemeinsamen Lernen. Sie lernen für die Lehrerin, werden durch die Gruppe motiviert, erarbeiten sich Dinge gemeinsam. Das kann digitales Lernen nicht ersetzen, wie es aktuell eine wissenschaftliche Studie der Universität Oxford am Beispiel von digital sehr gut aufgestellten niederländischen Schulen gezeigt hat. Die Versorgung mit Geräten ist dort nicht das Problem, sondern die fehlende Bezugsperson der Lehrkraft, feste Lerngruppen und der Dialog miteinander. Ich mache ja selbst an der Hochschule derzeit ausschließlich Fernunterricht und mache die Erfahrung, dass der Dialog sogar bei Erwachsenen mit bis zu sechs Teilnehmern in einer Konferenz noch ganz gut geht, aber darüber hinaus schwierig wird.
BZ: Aber zurzeit geht es doch gar nicht ohne digitalen Unterricht.
Lankau: Ja, aber wichtiger ist der direkte Kontakt Ich kenne eine Grundschullehrerin in Duisburg, die jeden Tag Aufgabenblätter mit dem Fahrrad an ihre Schülerinnen und Schüler austeilt, um die Kinder wenigstens einmal am Tag zu sehen. Denn selbst wenn alle mit Endgeräten versorgt sind und die Server funktionieren, heißt das noch lange nicht, dass die Kinder etwas lernen. Ob ich der Fernunterricht funktioniert oder nicht, hängt stark von den sozialen Bedingungen ab. Ob es jemanden gibt, der den Rahmen setzt, dem Tag eine Struktur gibt, motiviert beim Lernen, auch mal hilft oder nachschaut. Das ist nicht in jeder Familie zu leisten.
BZ: Die Alternative, bis zum zwölften Lebensjahr ganz auf digitale Lernmedien zu verzichten, wie es ihre Petition fordert, geht doch aber an der Lebensrealität der meisten Kinder und Jugendlichen vorbei.
Lankau: Es geht vor allem um die Wahlfreiheit und dass bildschirmfreie Einrichtungen nicht finanziell vernachlässigt werden. Digitales Lernen hat viele Nachteile: Das Tablet ist zwar einfach zu bedienen, aber wir sehen Kinder in der ersten Klasse, die noch keinen Stift halten können. Auf dem Computerbildschirm ist alles gleich groß, eine Briefmarke zu gestalten wirkt nicht anders als ein A2-Plakat, aber es ist etwas völlig anderes. Daher lasse ich Studierende auf Packpapierbahnen zeichnen, damit sie ein Gespür für Formate bekommen. Die Kinder sitzen vor allem zu viel, bewegen sich zu wenig, blicken zu lange auf Bildschirme, was zu Kurzsichtigkeit führt, wie eine Studie zu den Folgen von Fernunterricht zeigt. Nicht zuletzt korrumpiert das Lernen mit Software das Belohnungssystem. Programme belohnen Erfolge sofort, zum Beispiel mit dem Freischalten eines neuen Levels. Die Frustrationstoleranz geht zurück, die Reizbarkeit steigt, und die Kinder erwarten, dass sie auch in der Realität immer gleich belohnt werden, wenn sie etwas richtig machen. Die eigentliche Belohnung für das Lernen ist aber die Freude darüber, dass ich etwas kann.
BZ: Nun sitzen aber derzeit viele Kinder und Jugendlichen am Computerunterricht. Ist das alles sinnlos und schlecht?
Lankau: Der Fernunterricht kann eine sinnvolle Sache sein, zum Beispiel wenn Kinder krank sind und so Kontakt zur Klasse halten können, es bleibt ein Ersatz in Notzeiten. Sich in einem Online-Meeting zu treffen und Aufgaben zu erklären, die dann – ohne Computerunterstützung – erarbeitet werden, ist möglich. Aber warum werden keine Lehramtsstudierende zur Betreuung einbezogen? Die haben selbst Online-Vorlesungen und ihnen sind die Studentenjobs weggefallen. Sie könnten als Mentoren kleine Schülergruppen online unterstützen und so die Lehrer und die Eltern entlasten. Insgesamt treibt mich die Sorge um, dass die Pandemie missbraucht wird, um hinterher mehr digital gestützte Lernformen durchzusetzen.
Zur Person: Ralf Lankau ist 1961 in Lübeck geboren. Seit 1985 unterrichtet er analoge und digitale Gestaltungstechniken. Seit 2002 ist er Professor für Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg.
Weitere Informationen unter „Bündnis für humane Bildung“ (www.aufwach-s-en.de) und die „Europäischen Allianz von Initiativen angewandter Anthroposophie“ (www.eliant.eu)