Über das Missverständnis von Medientechnik im Unterricht
erschienen in Beruflicher Bildungsweg, bbw 3+4/2017, S. 8-11
Wenn man den Verlautbarungen aus dem Wirtschafts-, Wissenschafts- und den Kultusministerien verfolgt, scheint es für Bildungseinrichtungen nur noch ein Ziel zu geben: die Digitalisierung. Dabei wird weder nach Lebensalter, Schulformen oder (Aus-) Bildungszielen differenziert noch die Frage nach konkreten Lehr- und Lerninhalten und deren möglicher Medialisierung gestellt. Dabei dürfte es nicht nur Pädagogen einleuchten, dass die Aufgaben von Grund- oder(Werk-)Realschulen bzw. Gymnasien andere sind als die von beruflichen Schulen in der dualen Ausbildung oder der betrieblichen Weiterbildung. Die Unterschiede spiegeln sich nicht nur in den Bildungsplänen und (Aus-)Bildungszielen, sondern auch in den didaktischen Methoden und dem Einsatz von Medien(technik). Statt der Einfalt und Monokultur der unterschiedslosen „Digitalisierung als Heilslehre“ zu folgen sollte die Differenzierung nach Schul- und Altersstufen stehen, nach Inhalten und Zielen von „Medien im Unterricht“ differenziert werden und analoge wie digitale in ihrer Vielfalt altersangemessen und didaktisch überlegt eingesetzt werden.
Digitalisierung als Heilslehre
Mit dem Slogan „Einmaleins und ABC nur noch mit PC“ startete 2016 die „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesbildungsministeriums für Grundschulen. „Digitale Medien bieten enorme Potentiale in der Aus- und Weiterbildung sowie in der beruflichen Facharbeit“ heißt es in der parallel laufenden Kampagne „Bildung digital“ für die berufliche Bildung. Digitale Kommunikations- und Medientechnik, Vernetzung und Geräte der Unterhaltungselektronik wie Tabletts und Smartphones scheinen der Generalschlüssel für Bildungsprozesse zu sein, wenn man die Verlautbarungen der Bundeswirtschaftsministeriums (Digitale Agenda) oder des Bundesministeriums für Wissenschaft (Digitalpakt#D) liest.
Versprochen wird, was bei der Einführung neuer Medientechnik immer versprochen wird: zeitgemäßer, modernerer Unterricht, höhere Motivation der Schüler/innen, bessere Lernleistungen, „Entlastung“ der Lehrkräfte vom Unterrichten (als wäre Unterrichten nicht das Wesentliche von Schule) und „dadurch“ mehr Zeit für die individuelle Betreuung.1 Technischen Medien wird dabei regelmäßig ein automatisches Lehrpotential zugeschrieben, das den studierten und praxiserprobten Lehrkräften im gleichen Atemzug abgesprochen wird. Dabei gibt es weder digitalen Unterricht noch digitale Bildung.
Unterricht ist bereits sprachlogisch an Lehrende und Lernende gebunden. Fehlt ein Part, ist es kein Unterricht, sondern es sind mediengestützte Selbstlernphasen. Bildung ist ebenso notwendig an ein Subjekt gebunden. Bildung ist weder Medium noch Speicherformat, kein Objekt und keine messbare Größe, sondern Merkmal einer Persönlichkeit. Mess- und vergleichbar sind allenfalls Fertigkeiten und konkretes Können, wie es in Klausuren und Schultests (PISA & Co.) abgefragt wird.
Wer Unterricht und Bildung wie eine produktionstechnisch herzustellende Ware definiert, argumentiert weder pädagogisch, lernpsychologisch oder bildungshistorisch, sondern technokratisch. Es ist aber charakteristisch für einen ökonomistisch verkürzten Bildungsbegriff, wenn der Bertelsmann-Konzern unter der Überschrift „Wachstum Education“ damit wirbt, dass dank Digitalisierung „Bildung auch online in guter Qualität ausgeliefert werden“ könne wie ein beliebiges Konsumprodukt.2 Termini aus der automatisierten Produktion der Konsumgüterindustrie und des Qualitätsmanagements (QM) bzw. des Total Quality Management (TQM) werden hermeneutisch unreflektiert und sachlich falsch auf soziale und notwendig interpersonale Prozesse übertragen. Das Ergebnis ist im Wortsinn a-sozial und inhuman. Aus Bildungseinrichtungen werden Produktionsstätten für „Humankapital mit validierten Kompetenzen“. Der Mensch wird zur Ware.
Als historische Konstante kann man solche Irrwege bei Claus Pias nachlesen oder bei Edwin Hübner. Pias hat sich mit der historisch seit dem 17. Jh. belegten Automatisierung der Lehre und Lernkontrollsystemen befasst, mit „Unterrichtsmaschinen, Lerngutprogrammierung, Lehrstoffdarbietungsgeräte und Robbimaten“. Die irrige Vorstellung, „man könne Lehre automatisieren, um sparsamer, effektiver und sachgemäßer zu unterrichten, ist schließlich deutlich älter als Internet und Computer.“3 Aber der Glaube an die Mess- und Steuerbarkeit sozialer und individueller Prozesse, verbunden mit der Behauptung der Möglichkeit der vollständigen Quantifizierung und statistischen Auswertung aller Lebensbereiche (Stichwort Big Data Analyzing; Big Data Mining) gehört nun mal zur Heilslehre der Digitalisten. Fakt ist: Medientechnik als Ersatz der Lehrkräfte scheitert regelmäßig und notwendig.
Das Scheitern als Konstante
Stand der Wissenschaft ist: Nutzen und Vorteil digitaler Medien im Unterricht sind bislang nicht nachgewiesen. Unterschiedliche Studien zeigen vielmehr das Scheitern der Medialisierung und Digitalisierung von Unterricht. Belegt werden u.a. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen, ein höheres Ablenkungspotential, eine deutliche Verstärkung der sozialen Spaltung (digital divide) und die Verschlechterung von Schulleistungen.4 Auch der OECD-Bericht „Students, Computers and Learning: Making the Connection“ ( 2015) zeigt: Die verstärkte Nutzung digitaler Medien führt nicht zu besseren Schülerleistungen. Investitionen in die digitale Ausstattung der Schulen konnten keine nennenswerten Verbesserungen der Schülerleistungen in den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik oder Naturwissenschaften erzielen.
Das zeigte zuletzt eine Hamburger Studie über drei Jahre mit über 1300 Schülern.5 Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe erklärte als Fazit, es seien durch den Einsatz von Laptops und Smartphones „im Vergleich zu anderen Schulklassen keine klaren negativeren, aber auch keine eindeutig positiveren Entwicklungen beim Lernstand der Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichen Unterrichtsfächern [zu] erkennen“. Das Projekt werde fortgesetzt. Es genügt offenbar schon, dass Digitaltechnik im Unterricht nicht nachweisbar schadet. Der Leiter des Projekts, Prof. Dr. Rudolf Kammerl (zum Zeitpunkt der Studie Uni Hamburg, jetzt Uni Nürnberg) wird bei der Frage nach dem Einsatz von privaten Smartphones und Tablets nach dem BYOD-Prinzip (Bring your Own Device) deutlicher. Es sei festzustellen, dass das BYOD-Projekt den Schülerinnen und Schülern weder zu einer messbar höheren Leistungsmotivation, noch zu einer stärkeren Identifikation mit der Schule [führe]“ (S.42). Es werde weder besser mit Quellen umgegangen noch [sei] eine höhere Informationskompetenz“ erreicht. (S. 92) Immerhin: Anschlussstudien sichern den Wissenschaftlern und der Universität Drittmittel.
SPOC statt MOOC: Weiterbildung für Erwachsene
„Massiv gescheitert“ war auch ein Beitrag zur „Digitalen Universität“ in der ZEIT (Oktober 2015) überschrieben.6 Nach drei Jahren Experimentieren mit MOOC (Massive Open Online Courses) könne nur das vollständige Scheitern dieser Form des Online-Studierens und der Vision der Online-Universitäten konstatiert werden, so die interviewten Praktiker und Experten. Gleich die ersten beiden Buchstaben seien falsch bei MOOC, so John Hennessey, Präsident der Stanford-University: Massive und Open. Statt der Massenkurse würden jetzt SPOC angeboten – Small and Private Online Courses als kostenpflichtige Schulungen. Die Kurse seien klein (small statt open), die Teilnehmer träfen sich jede Woche zumindest virtuell zu einer Videokonferenz mit einem Lehrassistenten und kennen sich dadurch persönlich. Die Betreuung sei bei maximal 25 Teilnehmern durch Mentoren und Tutoren auch dann gut zu bewerkstelligen, wenn nicht alle am gleichen Ort seien und nur per Video zugeschaltet würden. Mit den Gebühren für die Kurse würden die Mentoren und Tutoren bezahlt. Vor allem aber würden keine ganzen Studiengänge angeboten, sondern spezielle Weiterbildungsangebote. Mit diesen Kursen zu konkreten Themen könne man man innerhalb weniger Monate bestimmte Fertigkeiten lernen und ein Zertifikat dafür bekommen.
Das ist die klassische, mediengestützte Weiterbildung mit Fachbuch, Funk- oder Telekolleg und heute ergänzenden Online-Kursen bzw. Videokonferenzen. Diese Kurse richten sich an Menschen, die i.d.R. bereits eine Ausbildung und/oder ein Studium abgeschlossen haben und z.B. für eine Beförderung oder einen Jobwechsel Zusatzqualifikationen erwerben. Diese Kurse ersetzen weder Ausbildung noch Studium. Selbst Sebastian Thrun, Gründer der Online-Universität Udacity, bezeichnet die von ihm mitentwickelten MOOC mittlerweile als „lousy product“ und bietet nur noch spezielle Weiterbildungsprogramme für den IT-Sektor an.7
Um was es wirklich geht: Kontrolle und Steuerung
Warum wird trotzdem so massiv für Digitaltechnik, eLearning und Online-Angebote geworben? Es geht, ganz trivial, um Märkte. Es geht um Geschäftsfelder und vor allem um den Zugriff auf Nutzer- und Lerndaten.
Bei der Diskussion über digitale Medien und Unterricht geht es – um es in aller Deutlichkeit zu formulieren – nicht darum, ob Lehrende (je nach Fachinhalten und didaktischen Prämissen) digitale Techniken und Medien um Unterricht einsetzen. Das wäre ein technisches Update der eingesetzten Lehrmittel: DVD statt Videorekorder, Beamer statt Dia- oder Filmprojektor oder Whiteboard statt Tafel usw. Das entscheiden Lehrkräfte nach didaktischen Prämissen selbst. Über 95% der Lehrer/innen nutzen bereits heute digitale Medien für die Unterrichtsvorbereitung und setzen sie im Unterricht ein, sofern sie es didaktisch für sinnvoll halten (und die technische Ausstattung vorhanden ist bzw. funktioniert.
Bei der Diskussion über „digitalen Unterricht“ geht es um viel mehr. Ziel ist, dass Digitaltechnik den Unterricht, das Lehren durch Lehrkräfte und das gemeinsame Lernen in der Sozialgemeinschaften des Klassenverbandes ersetzt. Dafür sind zwei Phasen der sogenannten „Digitalisierung des Lehrens und Lernens“ definiert, bei denen sich die bisherigen Vorstellungen von Schule und Lernen vollständig auflösen (sollen). In Phase 1 werden Lehrerinnen und Lehrer von IT-Anbietern zu Technik-Coaches ausgebildet. Dafür werden Sie in Schulungen und Wochenendseminaren geschult (und umworben). Sie lernen, die Produkte der jeweiligen Anbieter im Unterricht einzusetzen. In Phase 2 übernehmen dann vollautomatische eLearning-Online-Systeme mit permanentem Rückkanal Netz und Sprachsteuerung das Lehren komplett.
Maßgeschneiderte Computerprogramme werden den herkömmlichen Unterricht ersetzen, sagt zumindest Fritz Breithaupt, Professor für Germanistik (Indiana University, Bloomington/ USA). Er glaubt an „dramatischen Veränderungen des Lernens“ durch Computerprogramme und Sprachsysteme. Der persönliche Lehrer und der primäre Gesprächspartner werde ein Computer sein. Rechner bzw. Softwareprogramme und synthetische Stimmen würden zum Lehrer, Partner, Ratgeber und lebenslangen Begleiter. Computer beobachten per Videokamera und Sprachaufzeichnung ihre Schülerinnen und Schüler und sprechen mit ihnen, geben ihnen die Schulaufgaben, motivieren, loben und helfen, wenn etwas nicht funktioniert. Die Systeme seien einsatzbereit.
„Um diese Stimme als intelligenten persönlichen Assistenten für die Bildung anzuwenden, fehlt nur noch der große Freilandversuch, in dem das System sich selbst verbessern kann.“ (Breithaupt, 2016)
Und? Sind Sie bereit für Freilandversuche mit Menschen? Für seine 14-jährige Tochter, die 2016 ihren High-School-Abschluss machen wollte und Probleme mit Mathematik hatte, setzte Breithaupt übrigens keine Software ein. Er engagierte stattdessen einen Studenten als Nachhilfelehrer (personal coach). Das sei die beste Methode des Lernens, so Breithaupt auf der Personal Zukunft in Köln (2016) – nur sei es wirtschaftlich nicht effizient.
Software und synthetische Computerstimmen als Lehrer/in
Der persönliche Coach für die Professorentochter, Software für die anderen: Breithaupt beschreibt treffend das Zukunftszenario des Lehrens und Lernens aus der Perspektive der IT-Anbieter: Software erstellt den Lehrplan und beschult, unterstützt durch ein Sprachsystem und ggf. einen Avatar, die Schülerinnen und Schüler vollautomatisch. Dafür werden alle Aktionen der Probanden vor dem Bildschirm aufgezeichnet und zum jeweiligen Software-Anbieter geschickt. Aus den Daten werden personalisierte Lernprofile erstellt und das jeweilige Lernpensum berechnet. Das softwaregesteuerte, „individualisierte“ bzw. personalisierte Lernen“ funktioniert ja nur durch einem permanenten und kleinteiligen Rückkanal.
„[Die Software] Knewton durchleuchtet jeden, der das Lernprogramm nutzt. Die Software beobachtet und speichert minutiös, was, wie und in welchem Tempo ein Schüler lernt. Jede Reaktion des Nutzers, jeder Mausklick und jeder Tastenanschlag, jede richtige und jede falsche Antwort, jeder Seitenaufruf und jeder Abbruch wird erfasst. »Jeden Tag sammeln wir tausende von Datenpunkten von jedem Schüler« sagt Ferreira stolz. Diese Daten werden analysiert und zur Optimierung der persönlichen Lernwege genutzt. Komplexe Algorithmen schnüren individuelle Lernpakete für jeden einzelnen Schüler, deren Inhalt und Tempo sich fortlaufend anpassen, bei Bedarf im Minutentakt.“ (Dräger, Müller-Eiselt, 2015, S. 24)
Der Begriff dafür ist „learning analytics“, die Erhebung und statistische Auswertung (Mustererkennung) lehr- und lernbezogener Daten. Wie bei Amazons Kaufempfehlungen wird aus dem Verhalten Anderer das wahrscheinlich Passende an Aufgaben und Übungen berechnet. Der Einzelne ist nur noch eine statistische Größe. Lernende sitzen vor einem Bildschirm und tun, was ihnen die Maschine sagt. Lehrerinnen und Lehrer sind reduziert zu Lernbegleitern und Sozialcoaches. Algorithmus und Avatar werden zum digitalen Lehrer. Big Data und Big Brother sind das neue Teaching Team.Brave new digital world.
Was tun?
Bei der Frage nach dem sinnvollen Einsatz von Digitaltechnik im Unterricht gibt es zwei zentrale Aspekte, die zu berücksichtigen sind: erstes die notwendige Differenzierung nach Altersstufen und zweitens die Frage nach entstehenden Daten und dem notwendigen Datenschutz.
Kinder brauchen zum Lernen keine Bildschirmmedien, sondern Lehrerinnen und Lehrer, die unterrichten wollen und erklären können. Wer nicht unterrichten will, sollte z.B. gar nicht erst Lehrerin oder Lehrer werden dürfen. Statt undifferenzierte Investitionen in Medientechnik und Degradierung von Lehrkräften zu Lernbegleitern sollten Pädagogen und Eltern gemeinsam fordern, dass KiTas und Grundschulen in der pädagogischen Arbeit digitalfrei bleiben. Hier stehen die Kulturtechniken, Lesen, Scheiben, Rechnen und z.B. Musizieren (neben den motorische Fertigkeiten und Bewegung) im Mittelpunkt. Nur wer die elementaren Kulturtechniken beherrscht und im eigenen Körper zu Hause ist, kann überhaupt sinnvoll mit – analogen wie digitalen – Medien lernen und, im Wortsinn, etwas begreifen.
Ab der Mittelstufe, ab etwa 11, 12 Jahren, kann man digitale Medien im Unterricht sinnvoll einsetzen, weil Schülerinnen und Schüler ab diesem Alter über ihr Handeln reflektieren und abstrahierend denken können. Zugleich muss durch Studien mit Kontrollgruppen der Nutzen von Digitaltechnik erst noch nachgewiesen werden. Denn dass man mit digitalen Medien lernen kann, wenn sie statt analoger Medien zur Verfügung stehen, steht außer Frage. In Frage steht aber, dass man damit besser (effizienter, nachhaltiger) lernt als mit tradierten Medien. Das ist bislang nirgends belegt, erste Studien weisen eher auf das Gegenteil hin, weil z.B. das manuelle Schreiben Teil des Lernprozesses ist.
An berufliche Schulen wird man den Umgang mit Digitaltechnik bzw. entsprechenden Geräten und Anwendungen praxisnah vermitteln (müssen), weil es essentieller Bestandteil der Arbeitswirklichkeit in vielen Betrieben ist. Aber auch hier gilt, dass die wesentliche Aufgabe die Vermittlung die Prinzipien und zugrunde liegenden Strukturen sind, während die konkrete Softwareschulung nur exemplarisch für die derzeitige Praxis stehen kann. Denn keiner weiß, mit welcher Software wir in fünf oder zehn Jahren arbeiten oder welche Interfaces (Sprache, Gesten) dann aktuell sind. Es ist wie mit Fahrschule und Führerschein. Alle sollen sicher am Verkehr teilnehmen können, aber man lässt keine Sechs- oder Achtjährigen ans Steuer eines Autos, sondern übt mit ihnen Fahrradfahren. Oder kurz: Der Umgang mit Digitaltechnik muss altersangemessen und situativ begründet sein. Schule ist kein Arbeitsplatz und kein Ausbildungsbetrieb. Und als Ausblick für die „Arbeitswelt 4.0“:
These: Alles, was Sie mit einem Computer und E-Learning-Software lernen können, kann auch eine Maschine automatisch lernen. Alles, was Sie von einer Maschine für Ihren Job zu lernen, kann auch eine Maschine lernen, um Ihren Job zu tun. Menschen sollten das lernen, was Maschinen nicht lernen können.
IT neu denken: Datenschutz als Basis freier Gesellschaften
Für den Umgang mit Daten und Datenschutz müssen wir ein anderes Grundverständnis entwickeln. Zur Zeit prostituiert sich jeder, der im Netz aktiv ist, ohne Einfluss auf die gesammelten Daten und den Umgang mit ihnen zu haben. Die vermeintliche „Transparenz“ bedeutet nur rücksichtsloses Auswerten der Daten durch wenige IT-Monopole für intransparente Geschäftsmodelle und die Steuerung der Konsumenten über Web und App. Es sollte daher als erstes juristisch verboten werden, Daten von minderjährigen Schülerinnen und Schülern zu sammeln, auszuwerten und zu verkaufen. Wir brauchen ein deutsches COPPA (Childrens Online Privacy Protection Act). Bis dahin sollten die Schulen vom Netz genommen werden.
Wir müssen IT neu denken, heißt das, und Technik wieder zum Werkzeug im Dienst des Lehrens und Lernens – nicht der Kontrolle – machen. Wir müssen die Hoheit über unsere Daten zurückgewinnen, bevor wir überhaupt darüber diskutieren (können), ob wir Medientechnik und Geräte der Unterhaltungselektronik im Unterricht einsetzen (können). Und: Viel wäre geholfen, wenn wir begreifen würden, dass aus dem Silicon Valley keine technischen Lösungen kommen, sondern Heilslehren, mit denen die ganze Welt nach den Parametern weniger IT-Monopole „neu programmiert und verbessert“ werden soll. Weltverbesserer aber hatten wir schon genug und dass eine bessere Welt programmiert und durch Algorithmen berechnet werden könnte, darf doch sehr bezweifelt werden.
Anmerkungen
1 Zur Wiederholung der Argumente siehe Hübner, 2005, S. 274293
2 https://www.bertelsmann.de/strategie/wachstumsplattformen/ [25.1.2017]
3 Pias, 2013
4 Spitzer, 2016, S. 3
6 Beck, 2015, siehe auch http://futur-iii.de/2015/11/04/massiv-gescheitert/
7 M. Deimann: Die erfundene Revolution, https://hochschulforumdigitalisierung.de/blog/administrator/markus-deinmann-erfundene-revolution-digitale-bildungsrevolution [20.1.2017]
Quellen
Beck, Christine: Massiv gescheitert, in: Die ZEIT Nr. 44 vom29.Oktober 2015
Breithaupt, Fritz (2016): Ein Lehrer für mich allein, in: Die Zeit Nr. 5 vom 28. Januar 2016, Chancen, S. 63-64
Dräger. Jörg; Müller-Eiselt, Ralph (2015): Die digitale Bildungsrevolution, München: DVA
Hübner, Edwin (2005) Anthropologische Medienerziehung. Grundlagen und Gesichtspunkte. Frankfurt am Main: Lang
Kammerl, Rudolf/Unger, Alexander/Günther, Silke/Schwedler, Anja (2016): BYOD – Start in die nächste Generation. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Evaluation des Pilotprojekts. Hamburg: Universität Hamburg.
Lankau, Ralf (2016a) Bildungshäppchen, frei Haus geliefert, in: FAZ vom 14.12.2016, S. N4
Lankau, Ralf (2016b) Saarbrücker Manifest der digitalen Hybris; http://futur-iii.de/2016/11/10/saarbruecker-manifest-der-digitalen-hybris/ [04.01.2017]
Lankau, Ralf (2016c) 20 Fragen – 20 Antworten: Digitalisierung und schulische Bildung. Anhörung durch die Enquetekommission „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“, Thema „Digitalisierung“ (14. Oktober 2016); http://futur-iii.de/2016/10/14/20-fragen-20-antworten/ [04.01.2017]
Lembke, G. und Leipner, I. (2015). Die Lüge der digitalen Bildung. Warum unsere Kinder das Lernen verlernen. München: Redline
Pias, Claus (2013) Eine kurze Geschichte der Unterrichtsmaschinen, in: FAZ vom 10.12.2013
Postman, Neil (2001) Die zweite Aufklärung, Berlin, Berlin-Verlag
Schirrmacher, Frank (2015) Technologischer Totalitarismus, Berlin: Suhrkamp
Schmieder, Jürgen (2017) Schickt sie uns jung, dann gehören sie uns (Messe CES in Las Vegas), in: SZ vom 6. Januar 2017, s. x, http://www.sueddeutsche.de/digital/technologiemesse-in-las-vegas-schickt-sie-uns-jung-1.3322639 [10.01.2017]
Spitzer, Manfred (2016) Risiken und Nebenwirkungen digitaler Informationstechnik, Hessischer Landtag, 14.10.2016, Enquetekommission „Kein Kind zurücklassen – Rahmenbedingungen, Chancen und Zukunft schulischer Bildung in Hessen“, Thema „Digitalisierung“ (14. Oktober 2016)
Weizenbaum, Joseph: (1971) Die Macht der Computer ist die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt: Suhrkamp
Der Beitrag als PDF: Lankau: Lehren und Lernen (vlbs, 3+4/2017)